Die letzte Episode "Inhumane Praktiken" hat
            viel von ihrem großen Potential verschenkt, weil ihre Aussagekraft und Glaubwürdigkeit
            durch einen unsteten, konstruiert wirkenden Handlungsablauf und die Fokussierung auf eine
            recht zweifelhafte moralische Grundlage stark eingeschränkt wurde. Leider muß man, wenn
            man das Gesamtbild von "Dreißig Tage" betrachtet, ähnliche Mängel
            feststellen, was hier fast noch tragischer als bei der Vorgängerfolge ist.  
            Der wohl fesselndste und originellste Teil von "Dreißig Tage" ist sicherlich
            die Geschichte um die Moneaner und ihre Wasserwelt. Schon immer ist Star Trek mit der
            nautischen Seefahrtstradition verbunden gewesen; eigentlich basiert es sogar darauf, denkt
            man an die Thematisierung des mutigen Vorstoßes in unbekannte Gebiete und die Erforschung
            der unendliche Weiten des Ozeans bzw. des Weltalls. "Dreißig Tage" zeigt uns
            nun zum ersten Mal in der Geschichte von Star Trek (mal von der kurzen Holodeckszene auf
            der HMS Enterprise in "Star Trek
            Generations" abgesehen) ein
            "Crossover" zwischen den beiden verwandten Gebieten: ein Ozean im Weltall wird
            erforscht. Doch die Episode beschränkt sich nicht auf eine phantasievolle Visualisierung
            der Handlung, sondern verleiht ihr durch einen ernsten gesellschaftspolitischen
            Hintergrund Tiefe. Die Geschichte um die langsame Zerstörung der einzigartigen Wasserwelt
            durch die Industrien der Moneaner, welcher aufgrund der erstaunlichen Ignoranz des
            hochtechnisierten Volkes kein Einhalt geboten wird, obwohl doch hier ihr Lebensraum auf
            dem Spiel steht, ist natürlich eine wunderschöne Parallele zu unserer eigenen, mit
            gesundem Menschenverstand eigentlich nicht begreifbaren Situation: statt in Einklang mit
            der Natur zu leben und unseren (im Gegensatz zu den Moneanern sogar natürlichen, nicht
            angenommen!) Lebensraum zu schützen, assimilieren wir unsere Welt immer weiter durch eine
            Form der Industrialisierung, deren Ziel statt Umweltfreundlichkeit oder Integration der
            Natur der bloße Profit und die Maximierung der Erträge ist. Uneinsichtigkeit, mangelndes
            Bewußtsein für mögliche Langzeitfolgen und zu lange Reaktionszeiten des
            Behördenapparates sind die andere Triebkraft einer verhängnisvollen Entwicklung, die
            letztendlich unseren eigenen Untergang bewirken wird, oder uns zumindest zu einem
            radikalen Wandel unsereres Lebenstils zwingt, sobald wir uns der Grundlagen unserer
            eigenen Existenz beraubt haben. Solange dies nur Öl, Kohle und Erze betrifft, droht uns
            allenfalls ein Zusammenbruch der Produktion und ein (temporärer) Rückfall in die
            präindustrielle Gesellschaft, doch mit der Verschmutzung von Erde, Wasser und Luft und
            der Vernichtung der Tier- und Pflanzenwelt wird auch die "Spitze der Evolution"
            auf diesem Planeten vom Aussterben bedroht werden. Unser Verhalten kann nicht immer auf
            unsere eigene Zeit, das eigene Leben fokussiert sein, denn die unbedachten Aktionen von
            Heute können zu den Problemen von Morgen führen, wie uns der ebenfalls den Umweltschutz
            thematisierende Kinofilm "Star Trek IV" mit den ungeahnten Folgen der artgefährdenden Tötung
            der Wale in der Gegenwart für die ferne Zukunft eindrücklich zeigte. Eine Anpassung
            unserer Lebensverhältnisse und das Favorisieren von neuen, umweltbewußteren Wegen im
            Hier und Jetzt wäre sicher die Alternative, doch die Bequemlichkeit, Angst vor
            Veränderungen und Kurzsichtigkeit der Gesellschaft machen die Lösung der Probleme auf
            diese Weise unwahrscheinlich - auf unserer Erde ebenso wie in der Unterwasserwelt der
            Moneaner. Das Verhalten dieses Volkes, welches die gleichen Grundmuster wie unser eigenes
            zeigt, ist insofern noch tragischer, als daß ihnen keine 50-500 Jahre (wer kann die
            Folgen unseres Handelns heute schon so genau abschätzen?) bleiben, sondern lediglich
            fünf, und daß sie trotzdem die warnenden Stimmen ignorieren. 
          
           So spannend und tiefgründig dieser ganze Part der
            Episode ist, er ist nicht mehr als das: ein Teil der Handlung, und leider - wie der Titel
            schon vermuten läßt - liegt auf ihm auch nicht der Schwerpunkt. Im Grunde genommen dient
            die ganze Geschichte um die moneanische Wasserwelt und ihre Probleme nur als Auslöser
            (und letztlich auch als Rechtfertigung) für die Rahmen- und Haupthandlung, die nicht auf
            die gleiche Weise überzeugen kann. Ausgangspunkt der Episode ist die Degradierung Tom
            Paris wegen Befehlsverweigerung und grober Vergehen im Dienst als Sternenflottenoffizier,
            ein Ereignis, welches auf den ersten Blick ein herber Rückschlag in seiner Entwicklung
            weg vom launischen, anti-autoritären Rebell der Gesellschaft zu sein scheint, der mit der
            Vertuschung eines Shuttleunfalls, dem Betritt zum Maquis und der Inhaftierung in einer
            Föderationsstrafkolonie sowieso schon eine unrühmliche Vergangenheit aufzuweisen hat.
            Dementsprechend ist "Dreißig Tage" eine Tom Paris Charaktergeschichte; an sich
            eine exzellente Entscheidung, ergreift man doch endlich einmal die Gelegenheit, dem
            Charakter, der mit seiner Vorliebe für schnelle Autos, schöne Frauen und aufregende
            Abenteuer immer recht zweidimensional, schemenhaft  und stereotyp geblieben ist (was
            so gar nicht der üblichen, reichhaltigen Anlage der Star Trek Figuren entspricht - man
            denke nur an das grauenhaft platte "Vis à
            Vis"), etwas Tiefe zu verleihen. Die Wahl
            der Handlung, die zu der angestrebten Entwicklung hinführt, hätte sicher auch nicht
            besser ausfallen können, stellt doch die ursprüngliche Seefahrtstradition einen der
            Grundpfeiler für Tom Paris' Persönlichkeit dar - im Zweiteiler "Ein Jahr Hölle",
            der sehr viele Parallen zu dem hier erwähnten klassichen Jule Verne Roman "20,000 Meilen unter dem Meer" aufweist, ging man ja sogar soweit, Tom Paris an Bord von Annorax'
            Schiff die Rolle des mürrischen Matrosen aus jener Geschichte spielen zu lassen. "Ein Jahr Hölle",
            "Vor dem Ende der Zukunft" und vielleicht noch "Pon Farr" aus der dritten
            Staffel waren eigentlich bisher die einzigen Episoden, die Tom Paris als einen
            sympathischen, reifen Charakter des 24. Jahrhunderts zeigten, und glücklicherweise setzt
            "Dreißig Tage" diese Entwicklung fort: die  Außenmission in die
            moneanische Unterwasserwelt bringt Tom Paris in eine Situation, in der er an die Wand
            gestellt wird, da seine mittlerweile gefestigten Prinzipien bedroht werden. In gewisser
            Weise ist es ein Charaktertest für Tom Paris, wird doch seine Entwicklung seit dem
            Pilotfilm hin zu einem moralischeren, vernünftigeren und bedachteren Verhalten auf den
            Prüfstand gestellt. Das große Problem dabei, an der die Aussagekraft der Episode
            letztendlich scheitert, ist jedoch, daß der Prüfstand selbst diskussionswürdig ist und
            längst nicht so eindeutig erscheint, wie uns die Episode letzten Endes glauben machen
            will. Prinzipiell sind die zwei Möglichkeiten, nach denen Tom Paris angesichts der
            Situation handeln kann: persönliche Moral oder Loyalität. Ersteres steht für ein
            individuelles, menschliches, gefühlsbedingtes Handeln, letzteres für ein objektives,
            rechtlich korrektes Verhalten (sowohl in Bezug auf die Regeln der Sternenflotte und der
            Föderation als auch die souveränen Gesetze der moneanischen Verwaltung). Das ethische
            Dilemma dabei: welchen Weg man auch wählt, man wird sich auf die eine oder andere Weise
            schuldig machen. Daß Tom Paris angesichts der Prinzipien, an die er glaubt, und die
            Bindung, die er zum Meer und der Seefahrt verspürt, sich dafür entscheidet, sämtliche
            Gesetze und Regeln zu brechen und mit allen Mitteln für Moral und Vernunft einzutritt,
            ist angesichts seines Werdegangs nicht erstaunlich. Ist es aber die korrekte Wahl? Ja und
            Nein, meine ich, der Handlungsverlauf der Episode jedoch impliziert ein klares Nein: die
            Degradierung zum Fähnrich und Verurteilung zu 30 Tagen Einzelhaft erscheint extrem
            drakonisch und beeinflußt die letztendliche Aussage der Folge nicht unerheblich.
            Natürlich kann man Tom Paris intendierter "Lösung" nicht uneingeschränkt
            zustimmen, denn er begeht den entscheidenden Fehler, sich selbst zum Richter und
            Vollstrecker über die moralische Schuld eines anderen Volkes aufzuspielen, dessen
            Lebensgrundlage, Werte und Normen, wie der Präfekt richtig bemerkt, der Crew der Voyager
            nur unzureichend bekannt ist. Selbstjustiz ist nicht grundlos ein Verbrechen in unserer
            Zeit, denn eine generelle Anerkennung würde zu Anarchismus und Chaos führen. Tom Paris
            meint, richtig gehandelt zu haben, und der Zuschauer mag dies auch meinen, aber wie er
            betrachten wir dies alles von einem subjektiven, persönlichen Standpunkt aus. Auf der
            anderen Seite müssen unsere heutigen ethischen Werte nicht für die Zukunft zutreffen, so
            daß das 24. Jahrhundert eigenlich der Ort sein sollte, wo die Grundlagen unserer
            Gesellschaft neu bewertet werden sollten. In der Science Fiction kann die Moral
            die letzte Instanz sein, unabhängig vom positiven Recht. Geht man von dieser, von
            gesellschaftlichen Regeln und Institutionen losgelösten Sichtweise aus, erscheint es
            falsch, Tom Paris in erster Linie wegen Befehlsverweigerung zu verurteilten. Diese
            Entscheidung offenbart ein restriktives, auf bloßen Gehorsam und die Akzeptanz der
            Unfehlbarkeit höherer, aber eben künstlich geschaffener Instanzen des Rechts
            ausgerichtetes Denken. "Hier geht es nicht um Regeln und Gesetze. Hier geht es um
            Richtig oder Falsch" war schon oft genug das Kredo von Star Trek, das auf diesem Wege
            ebenfalls Grenzen überschritt und neue Gebiete erforschte. Das auf den Prüfstand bzw. in
            Frage stellen der vor Jahrhunderten festgelegten, starren ethischen Grundsätze stellt
            eine der lohnendsten und mutigsten Aspekte von Star Trek dar, egal, ob sie nun durch die
            geschaffenen, zukünftigen Situation erneut bestätigt, relativiert oder verworfen werden.
            Nun steht es außer Frage, daß Tom Paris sich - unabhängig von Gesetzen - eine moralisch
            wie rechtlich sanktionierte Schuld durch die objektiv faßbaren, unmittelbaren Folgen
            auflädt, die sein Handeln gehabt hätte - die Gefährdung der Leben in den Raffinerien
            und die an Bord der Voyager. Auf der anderen Seite erscheint uns ein Ignorieren der
            moneanischen Situation ebenfalls nicht als moralisch einwandfrei - schließlich steht eine
            ganze Welt voller Lebewesen (nicht nur die Moneaner) auf dem Spiel. Wider besseren Wissens
            nicht handeln, wenn irgendwo - irgendwann - Unrecht geschieht, dies ist eine metaphysische
            Schuld, für die man aber unmöglich zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Konsequenz
            dieses Dilemmas für den Ausgang der Handlung hätte sein müssen: schuldig ja, aber die
            Situation ist moralisch gesehen nicht eindeutig, und somit liegen mildernde Umstände vor.
            In Hinblick auf frühere Geschehnisse im Star Trek Universum ist das plötzliche strikte
            Beharren auf "Law & Order" sogar schlichtweg heuchlerisch, denn
            Präzedenzfälle für Verstöße gegen die Erste Direktive und die Mißachtung von
            Befehlen ohne großartige Konsequenzen für die "Täter" gibt es mehr als genug
            (typische Beispiele dafür: "Das oberste
            Gesetz" und der Cliffhanger dieser Staffel
            "Equinox"). Wie die Episode die Situation aber bewertet, mit einem Rückfall
            in ein selbst nach heutigen Maßstäben veraltet wirkendes Strafsystem, dem es allein um
            die Wiedergutmachung bzw. das "Aufwiegen" der Schuld durch eine möglichst harte
            Strafe, die abschrecken und vor einer Wiederholung abhalten soll, geht, erscheint die
            Behandlung der Schuldfrage letzten Endes als viel zu undifferenziert und gegenwartsbezogen
            und läßt jeden kreativen, neuen Ansatz vermissen. Schlimmer noch: die ganze Entwicklung
            Tom Paris seit dem Pilotfilm wird relativiert, wenn nicht völlig aufgehoben, wird doch im
            Urteilsspruch seinem erstmaligen Handeln auf Basis von (moralisch legitimen) Prinzipien
            keine Rechnung getragen. Er glaubt, aus der Verantwortung gegenüber seinem eigenen
            Gewissen heraus richtig gehandelt zu haben, doch wird diese Sicht allein durch das Fehlen
            differenzierter Standpunkte unglaubwürdig: wir haben Tom Paris auf der einen und die Crew
            auf der anderen Seite - zumindest erweckt die sichtliche Abfälligkeit der Crew gegenüber
            ihm während seiner Inhaftierung diesen Eindruck. Wieder ist es der Captain, der schnell
            und unnachgiebig ein Urteil fällt und dabei jede Diskussion innerhalb der Besatzung unter
            den Tisch fällt. Da der Zuschauer die Geschichte aus Tom Paris' Sicht erzählt bekommt
            und deshalb ein gewisses Verständnis für seine Motive aufbringen kann, fühlt er sich
            aufgrund der Ablehnung seitens des Captains und der Crew am Ende fehlgeleitet.
            "Verstoße nie gegen geltende Regeln, selbst wenn es dein Gewissen und deine
            moralische Verantwortung dir gebietet" scheint so am Ende die beabsichtigte Aussage
            zu sein, was wie so oft politisch, aber nicht unbedingt menschlich korrekt ist. 
            Auch wenn die Episode im Vergleich mit "Das
            Vinculum" und "Inhumane Praktiken"
            noch als beste Folge hervorgeht, hätte "Dreißig Tage" wesentlich mehr sein
            können, wesentlich mehr aussagen können, als es letzten Endes tut. Eine kontroverse
            Diskussion des Themas fällt ebenso unter den Tisch wie eine differenziertere Betrachtung
            der Strafe und ihrer Effektivität zur Sühne von Schuld und "Wiedergutmachung"
            von Verbrechen (die Sichtweise, die die Episode in Bezug darauf offenbart, bedeutet ja
            sogar einen Rückschritt). Der kurze Prozeß mit Tom Paris läßt dagegen das Gefühl
            aufkommen, daß die Geschichte ausschließlich in Hinblick auf ihr Ziel geschrieben worden
            ist - "wir wollen Tom Paris degradieren, also konstruieren wir uns eine passende
            Geschichte" -, während Ursachen, Beweggründe und Konsequenzen eher nebensächlich
            erscheinen. Angesichts der interessanten Grundlage, der einmal wirklich tiefgreifenden,
            dreidimensionalen  Charakterisierung von Tom Paris, guten schauspielerischen
            Leistungen und absolut atemberaubenden Produktionswerten ist das sehr schade.
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